Sportliche Dwarslöper. Von der Lustsegelei auf einem ehemaligen Arbeitsboot

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Montag, 30. Juni 2008
von Matt - Muencheberg
Heute als Lustsegelyachten erlebbar: Ehemalige Fischerzeesen. Foto: Detail der FZ 12 aus Mönkebude, (c) nass-press.
Früher sei sowieso alles ganz anders gewesen, meint mein Freund Hein. Nicht immer besser, aber anders. Man nehme nur das Segeln: Das sei eben früher keine Angelegenheit für Freizeit-Junkies gewesen, sondern harte Arbeit. Und: Die Bedienung von Pinne, Fallen und Schoten sei ganz nebenbei erledigt worden, sozusagen als notwendiges Übel. Recht hat er, der alte Salzbuckel. Eine ungefähre Ahnung vom Alltag der Fischer auf dem vorpommerschen Bodden kann man sich gut an Bord einer der erhaltenen Zeesen machen. 70 der 101 mit FZ-Zeichen versehenen, schweren Gefährte stehen heute (wieder) unter Segeln. Tendenz steigend. Die Boote sehen auf den ersten Blick wie grob zusammengezimmert aus; alles scheint etwas wuchtiger ausgeführt als auf vergleichbaren Holzyachten, die heute der puren Lustsegelei dienen. Auf dem Wasser dann, ohne Schwert mehr querab treibend als voraus segelnd, müsse schon eine steife Brise wehen, damit die schweren Rümpfe aus Eiche so richtig in Schwung kommen; selbst bei gefierten Schwertern könnten am Wind nur Winkel um die sechzig Grad gesteuert werden, sagt Hein. Und trotzdem. Oder gerade deswegen: Die hölzernen ?Dorfschönheiten? mit dem FZ im ochsenblutgetränkten Baumwoll- Groß erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit, die Fangemeinde nimmt stetig zu. Davon zeugt nicht zuletzt ein gut gefüllter Regattakalender, der die kurze Saison zu einem dauernden, rauschenden Fest für die Holzboot- Liebhaber, oft gekleidet in weiße Segel-Latzhosen, Fischerhemden, bestrickt mit Zeesbootmotiv- Pullovern und bestückt mit prächtig wuchernden Bärten, macht. Wer weiß, dass die Fischer- Zeesen bei Wind und Wetter lediglich mit zwei Mann Besatzung auskommen mussten, kann sich leicht ein Bild vom rauhen Arbeitsalltag machen, der früher an Bord herrschte, sagt Hein. Alle Fallen und Schoten müssten schließlich von Hand bedient werden; Elektrowinschen oder ähnliche moderne Ausrüstungsgegenstände scheuen die heutigen, auf Tradition bedachten Zeesener wie der Teufel das Weihwasser. Was hätten wohl die Fischer dazu gesagt, wäre ihnen vor hundert Jahren diese Arbeitserleichterung offeriert worden? Natürlich ? sie hätten zugegriffen, ist sich auch Hein sicher. Ausgeglichen werden die fehlenden ?skippers little helper? bei Regatten durch Masse: Denn auf den heutigen, modifizierten ?Lustyachten? (die Zeesbäume sowie die Fischkästen fehlen) sind fünf oder sechs Mann Besatzung keine Seltenheit. Einziges Zugeständnis an die Jetztzeit sind die Einbau- Marinediesel, welche die tonnenschweren Verdränger in brenzligen Situationen auf Kurs halten, bei Hafenmanövern auf engstem Raum wertvolle Dienste leisten und dabei von den Skippern mindestens genauso virtuos bedient werden wie Takelage, Pinne und Schot: 1927 baut erstmals ein Fischer aus Stralsund einen Hilfsmotor in sein Zeesboot ein ? bedingt durch die Höhe der damals üblichen Glühkopfmotoren entstehen seitdem kleine ?Maschinenkappen? auf dem Achterschiff, die später zur ?hinteren Kappe? ausgebaut werden. Früher waren Zeesboote Arbeitstiere. Punktum. Sagt Hein. Ihn freue es sehr, dass die Tradition nun wieder auflebe, das Zeesbootfischen erlebbar gemacht werde: Im Mai 2002 gründeten sich zu diesem Zweck in Althagen am Saaler Bodden die ?Zeesener?. Ziel des eingetragenen, gemeinnützigen Vereins ist die Demonstration der Driftfischerei unter Segeln. Was beim ?Lustsegeln? auf Zeesen als störende Abdrift in Erscheinung tritt, macht beim Netzfischen an Bord der Gaffelketschen durchaus Sinn: Mit aufgeholtem Schwert treiben die Boote quer zum Wind; das seitlich ausgeworfene, an sogenannten Drift- oder Zeesbäumen befestigte Netz für den Fischfang, die eigentliche ?Zeese? (altdeutsch für ?großer Sack?; früher auch als Mönchssack bezeichnet) wird über den Grund gezogen. Mit der 1912 von Dornquast in Barth auf Kiel gelegten FZ 33 ?Sennert? von Andreas Schönthier, der neben der gewerblichen Zeesbootsegelei mit Gästen ein Restaurant, eine Pension und eine Fischräucherei betreibt, gehe satzungsgemäß einmal im Jahr eines der alten Arbeitsboote wieder seiner ursprünglichen Zweckbestimmung nach: eben dem ?Zeesen?, wie der ehemalige Hochseefischer Schönthier erklärt. Mit an Bord seiner 1990 und 2005 aufwendig sanierten, 94 Jahre alten Yacht ist Kollege Bernhard Seitz; der Althagener ist, wie Schönthier auch, Binnenfischer. Mehrere Reusen auf dem weiten Boddenflach nennen die beiden ihr Eigen. Einmal im Jahr fahren die beiden nun gemeinsam aus, um mit Schönthiers Zeese zu fischen. Alles ist dann penibel vorbereitet, die extra langen Driftbäume zum Aufnehmen der ?Zeese? liegen an Deck parat, ebenso wie das Netz, die Leinen und ein großer Grüner Plastik- Kasten zur Aufnahme des Fangs. Dann geht es los: Nachdem die schwarzen, nur grob behauenen ?Bäume? ausgefahren sind ? die Ketsch mit dem geraden Vorsteven bringt es nun auf eine imposante Länge von 26 Metern über Alles, bei einer Rumpflänge von Steven zu Steven von gerade mal 10,75 Metern ? wird das bräunlichschwarze Netz, einem stark in die Länge gezogenen Kartoffelsack gleich, Hand über Hand ins grünliche Bodden- Nass gelassen. Anschließend wird der Sack mit zwei Hanfseilen an den äußersten Enden der Bäume befestigt, die Schwertfallen werden dichtgeholt, das Ruder festgelascht und die Segelstellung den Windverhältnissen angepasst ? schon kann die ?Drift?, wie Binnenfischer Schönthier das Fischen mit der Zeese wie altersher bezeichnet, beginnen. Nach einer Stunde fiert Schönthier die achterliche Netzleine, geht mit dem Boot in den Wind, und gemeinsam mit Freund Seitz holen sie das grobmaschige Netz ein. Je näher die Schwimmer, welche das Ende des Sackes ankündigen, dem Schiffsrumpf kommen, desto unerträglicher wird die Spannung: Wie wird die Ausbeute sein? Was wird sich finden im dem Netz, mit dem Generationen von Fischern an nordostdeutschen Haffs und Bodden jahrhundertelang ihren Lebensunterhalt verdienen mussten? Schließlich ist es geschafft: Fischer Bernhard Seitz löst das blaue Ende, mit dem der äußerste Netzzipfel zusammengebunden ist; heraus zappeln drei ?jährige? Zander; eine zweite Drift bringt das gleiche Ergebnis. ?Nicht gerade viel?, resümiert Schönthier; trotzdem ist er stolz auf das Ergebnis, zeigt es doch, dass die Fischerei mit der Zeese funktioniert hat. Leben könne man davon heute nicht, sagt mein Freund Hein. Aber: Interessierten werde durch das Schaufischen mit der ?Sennert? nun jedes Jahr aufs Neue zwischen Bodstedt- und Althagenwettfahrt die Gelegenheit gegeben, an Bord eines Traditionsseglers die Technik, Gebräuche und Gewohnheiten der Fischer kennenzulernen. Und wer auf einer alten Zeese ?nur? Lustsegeln will, kommt heute auch auf seine Kosten: Etwa an Bord der ?Ghost? mit dem Segelzeichen FZ 12. Start der naturlackierten Schönheit von Skipper Alwin Harder ist täglich ab Mönkebude am Stettiner Haff. Außer bei Regen. Das sei früher auch anders gewesen, sagt Hein. Da hätten die segelnden Fischer immer rausgemusst, egal ob etwas Nasses von oben gekommen sei. Heute ist das anders, glücklicherweise, findet Ihr Matt.Müncheberg, info@muencheberg-media.com. Alwin Harder aus Mönkebude erreicht man am besten telefonisch unter 0172-3125388. Auch Tages- oder Mehrtagesfahrten sind bei ihm buchbar.

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