Schrill und bunt: Dazzle Camoflage an einem Ktiegsschiff, (c) Arthur Lismer: Olympic with Returned Soldiers
In jüngster Zeit gibt es viele Beispiele für eine ganz besondere Art der Rumpfgestaltung bei Schiffen und Yachten: Im sogenannten Stil der „Razzle Camoflage“ gestaltete etwa Thomas Rehberger die HMS PRESIDENT als Dazzle Ship, aktuell zu sehen auf der Themse in London. Carlos Cruz-Diez´ INDUCTION CHROMATIQUE ist – im selben Stil gehalten – an der Liverpool Waterfront zu bestaunen. Sir Peter Blake gestaltete die EVERYBODY RAZZLE DAZZLE. Längst hat das Gestaltungs-Prinzip auch im Yachtbereich Einzug gehalten. Prominentestes Beispiel dürfte die 115 Fuss-Superyacht GUILTY sein, die von dem US-amerikanischen Pop Art-Künstler Jeff Koons und der italienischen Yachtdesignerin Ivana Porfiri im Stil eines Roy Lichtenstein „gedazzled“ wurde. Auch die neue TP52-Rennyacht QUANTUM RACING nutzt das Prinzip als Vorbild, könnte man meinen. Doch woher kommt diese ganz spezielle, sofort ins Auge springende Art der (Schiffs-) malerei? Im ersten Weltkrieg wurde Razzle Camoflage an Schiffen angebracht, um es dem Gegner unmöglich zu machen, ein Schiff von See oder aus der Luft zu erkennen. Die Entstehung dieser Tarn-Malerei wird dem Künstler Norman Wilkinson zugeschrieben. Einen gewissen Einfluss hatte auch der Zoologe John Graham Kerr. Kerr erforschte komplexe Muster von geometrischen Formen in kontrastierenden Farben, die sich brechen und schneiden. Im Gegensatz zu anderen Formen der Tarnung, werden die Schiffe durch Dazzle-Painting nicht „unsichtbar“; sie „verschwinden“ nicht. Es wird für den Gegner jedoch sehr schwer, die korrekte Position des Schiffes, seine Geschwindigkeit und seine Richtung zu bestimmen. Norman Wilkinson erklärte 1919, dass Dazzle mehr dazu dienen sollte, den Feind zu täuschen, als Granaten ausweichen zu können. Dazzle wurde von der britischen Admiralität und der US Navy in der Form angewendet, dass jedes Schiff ein einzigartiges Muster erhielt. Diese Muster wurden für einen optimalen Erfolg dann miteinander kombiniert. Schließlich gab es so viele verschiedene Farb- und Mustervarianten, dass es schier unmöglich schien, festzustellen, welches Farbschema am wirksamsten war – und ob diese Art der Schiffsbemalung überhaupt irgendeine Bedeutung hatte. Trotzdem wurde der Anstrich für lange Zeit beibehalten. Grund: durch die subjektive Wahrnehmung der Besatzungen, ihre Schiffe seien vor der Entdeckung geschützt, sei die Moral an Bord gestärkt worden, hieß es. Ihr Ende fand diese Art der optischen Täuschung erst in den 1940 Jahren mit der Einführung des Sonars und der Horchpeilung. Am Ende des Zweiten Weltkrieges gab es schließlich Torpedos, die den Schraubengeräuschen eines Schiffes aktiv folgen konnten. Spätestens mit der Einführung und Verbesserung der Radar-Technologie wurden die optischen Tarnmuster dann jedoch komplett obsolet. Wenn sich nun das „Razzle Painting“ auch im Yachtbereich wachsender Beliebtheit erfreut, dann dürften die Gründe dafür jedoch weniger in der Tarnung beziehungsweise des „Verwirrens“ etwaiger potentieller Gegner auf See liegen, sondern eher im genauen Gegenteil: Auffallen um jeden Preis, heißt das Motto heute. Koste es, was es wolle. In puncto der aufzuwendenden finanziellen Mittel. Und in puncto Geschmack. Aber über den lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Oder doch? Zumindest in einem Bereich macht Dazzle Camoflage in seiner ursprünglichen Bedeutung auch heute noch Sinn und wird nach wie vor angewendet: auf der Straße, Das betrifft etwa Rennwagen in der Formel 1: Red Bull dazzelte zum Beispiel 2015 seinen RB11-Renner. Grund: Der Konkurrenz sollte es auf diesem Wege schwergemacht werden, die Aerodynamik des Rennwagens analysieren zu können. Aber auch bei Prototypen ganz normaler Pkw – sogenannten Erlkönigen – wird von den Herstellern durch Dazzle Camoflage-Painting versucht, das genaue Aussehen dieser Fahrzeuge geheim zu halten. Ob sie wissen, dass sie dabei auf ein System zurückgreifen, das seinen Ursprung im Bemalen von Kriegsschiffen während des ersten Weltkrieges hat?