18.Januar.2018
Neujahrsvorsätze. Gute Seemannschaft, gute Seemannschaft, vor allem aber gute Seemannschaft. Und zählen sollte man auch können.
Neulich erreichte mich ein demütigender Leserbrief: „Wenn du all das, was du in deinen Kolumnen schilderst, selber erlebt hast, dann bist du als Skipper ungeeignet – sorry!“ Gezeichnet @katfreak.
Nein, ich habe das NICHT alles selber erlebt. Andernfalls wär’ ich kein ungeeigneter, sondern ein toter Skipper. Ermordet von der eigenen Crew im Zuge einer vollkommen gerechtfertigten Meuterei. Ich bin aber ein boshafter Mensch, der sich herzhaft amüsiert über die Erzählungen anderer. Dafür werde ich ab und zu vom Schicksal bestraft. Und zwar durch Missgeschicke, die mir tatsächlich selber passieren.
Lieber @katfreak, weil gerade die Zeit für gute Vorsätze ist: Ab sofort nur noch kontrollierte Stöße beim Hafenbillard. Weniger Abwürfe beim Schlauchboot-Rodeo. Kein Reisetaschen-Boogie-Woogie auf der Passarella. Keine Palatschinken-Flugshow in der Pantry. Keine marineblaue Zehe wegen Segelschuh-Intoleranz. Vor allem aber verspreche ich, künftig vor dem Ablegen immer die Crew durchzuzählen. Das hat einen Grund. Und: Ja, lieber @katfreak, das ist wirklich MIR passiert.
Also: ACI Marina Split. Tagesziel: Insel Lastovo. 50 Meilen. Wir sind spät dran. „Du Fender, du Muring, du Backbord-Heckleine, du ans Ruder, ich Steuerbord-Heckleine. Fahr’ ma!“ Ab geht’s. Exzellenter Segelwind. Irgendwo im Vorschiff läutet ein Handy. Scheint niemanden zu interessieren.
Der Klingelton wird langsam penetrant: Hummelflug, Rimski-Korsakow. Aufwühlend im Konzerthaus – unerträglich als Techno-Junk.
Stefan: „Geh bitte, kann jemand abheben?“ Norbert: „Das ist Tonis Handy.“
Stefan: „Geh runter und weck’ ihn auf.“
Norbert verschwindet im Rumpf. Das Handy verstummt. Wurde auch Zeit.
Nach fünf Minuten taucht Norbert im Niedergang auf: „Ich find’ sein Handy nicht, weil es nicht mehr läutet. Und ich find’ auch den Toni nicht.“
Schweigen.
An Deck ist er auch nicht. Weder unter dem Schlauchboot, noch in der Ankerkiste. Toni ist weg.
Kursänderung um 180 Grad – eine gute Stunde nach dem Ablegen.
Jetzt sehnen sich alle nach dem Hummelflug, um zu erfahren, was los ist. Norbert wirkt zerknirscht: „Das ist meine Schuld.“ Fragende Blicke. „Naja, Toni hat mich gefragt, ob sich noch ein Duscherl in der Marina ausgeht.“
Ich: „Wann war das?“
Norbert: „Fünf Minuten vor dem Ablegen.“
Ich erspare ihm die Schelte. Er hätte sich den Zweitanker um den Hals gebunden und wäre über Bord gesprungen.
Alexander hat weniger Skrupel: „Norbert, mit dir hat man nur Schwierigkeiten.“
Hummelflug. Endlich!
Norbert stolpert hektisch den Niedergang talwärts und stürzt. Ein Schrei. „Scheiße, meine Brille ist zerbrochen. Ohne Brille find’ ich das Handy nie.“
Alexander: „Wieso? Hast du auch dein Hörgerät zertrümmert?“
Georg stürmt in den Salon, turnt über den gestrauchelten Norbert und findet das Handy noch rechtzeitig.
Wenig später. Georg versucht krampfhaft ernst zu bleiben: „Ausländische Nummer am Display. Toni sitzt auf einer fremden Yacht. Nur mit Unterhose, Handtuch und Badeschlapfen bekleidet. Er trinkt mit drei Engländern Newcastle Brown Ale und ist schon bei der vierten Dose.“ Der nun unausweichliche Lachkrampf macht das Halten des Kurses schwierig.
Es kommt noch schlimmer: Norbert kraxelt zurück ins Cockpit: „Jetzt sehe ich zum Glück wieder was.“
Alexander: „Hast du deine Ersatzbrille gefunden?“
Norbert: „Nein. Das ist die Brille vom Toni. Die hat er zum Glück vergessen.“
Schon vor den Einfahrtsfeuern hören wir „What shall we do with the drunken sailor“. Vierstimmig. Die Engländer sind leicht zu finden. Einer lallt etwas von „marvelous seamanship“. Der an sich eher noble Toni hat inzwischen – vermutlich beim Pinkeln – auch sein Handtuch verloren.
Ab der vierten Dose ist sogar Newcastle Brown Ale genießbar.
Prosit! Auf das ferne Lastovo!