Jens Kroker trainiert mit seinem Kielboot Sonar alle drei Wochen auf dem Berliner Müggelsee - bis Eis das Gewässer bedeckt. Foto: (c) nass-press.
Dass das Segeln nur bedingt etwas mit der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat, bewies einmal mehr der Sieg der deutschen Sonar-Crew um den Steuermann Jens Kroker bei den gerade beendeten Paralympics in China.
Wir erinnern uns: Vier Sonar-Teams waren mit jeweils nur einem Punkt Unterschied in die elfte und entscheidende Wettfahrt gestartet. Zum besseren Verständnis: Die Sonar ist ein 7,01 Meter über Alles langes Kielboot, das bei sogenannten Handicap-Regatten zu dritt gesegelt wird.
Vorangegangen war ein spannender Finalkampf, bei dem Krokers schlanke, weiße Yacht mit der GER 11 im Großsegel zwar nur Platz fünf belegte. Das reichte dem für den Yacht-Club Berlin-Grünau (YCBG) startenden Team jedoch für paralympisches Gold: Der bis dahin eigentlich führenden Crew um den französischen Steuermann Bruno Jourdren riss in der letzten, entscheidenden Wettfahrt beim Runden einer Wendemarke die Fock. Damit war der Weg frei für Jens Kroker, dem die linke Hand fehlt, mit seinen Vorschotleuten Siegmund Mainka (beinamputiert) und dem querschnittsgelähmten Robert Prem zum ersten Platz.
Wow!
Doch wie funktioniert das mit der Vergleichbarkeit der Behinderungen, kann man allen Ernstes von ein wenig versehrt bis hin zur Vollbehinderung sprechen, und, wenn ja, wie werden die Versehrtheiten der einzelnen Segler überhaupt vergleichbar? Gibt es so etwas wie einen Yardstickfaktor für körperliche Behinderungen? - Aufklärung darüber ließ sich bei den Übertragungen der Öffentlich-Rechtlichen leider nur allzu oft vermissen.
Die Antwort: Ja, es gibt ihn, den Handicap-Faktor. Und damit wird erst die faire Vergleichbarkeit erzielt, die einen Wettkampf erst gerecht, und, weil die Chancen nun zumindest annähernd gleich verteilt sind, spannend macht. Die Klassifizierung im Segeln basiert auf den vier Faktoren Körperstabilität, Handfunktionen, Mobilität und Sehvermögen. Die Athleten werden nach einem Punktesystem eingeteilt, wobei sieben Punkte die größte Funktionsfähigkeit darstellen. Ein Team aus drei Seglern, wie etwa das des Sonar-Seglers Jens Kroker, darf 14 Punkte nicht überschreiten.
Segeln ist seit dem Jahr 2000 paralympisch. Gesegelt wird nach den Bestimmungen des Internationalen Behinderten-Seglerverbandes (IFDS). Der Sport ist für alle Athleten mit einer körperlichen Behinderung, wie Amputierte, Cerebralparetiker, Blinde oder Rückenmarkverletzte, zugänglich.
Nur für den Fall, dass einer in puncto der Termini nicht Bescheid weiß (so wie bis vor kurzem ich selbst, ich gebe es zu): Bei Cerebralparetikern handelt es sich um Menschen, die an einer Beeinträchtigung des Bewegungsablaufs und mangelnder Muskelkontrolle aufgrund von Schädigungen eines oder mehrerer Steuerzentren im Gehirn leiden. Die Folge ist eine spastische Behinderung.
Bei paralympischen Segelwettbewerben kommen wegen der höheren Stabilität ausschließlich Kielboote zum Einsatz. Neben der Sonar mit 23,23 Quadratmeter Segelfläche sind das das Einmannboot 2,4mR (Mini-Zwölfer) und die SKUD, welche zu zweit gefahren wird. Alle Yachten verfügen über ein offenes Cockpit und weisen leichte Modifizierungen auf, um die Einschränkungen der Segler zu kompensieren. Innerhalb der Crews ergänzen sich die Segler mit unterschiedlichen Behinderungen.
So gesehen, können paralympische Segel-Wettkämpfe neben dem Unterhaltungswert, die sie besitzen, sogar eines sein; richtig spannend. Nur wissen muss man, wie es sich mit den Grundlagen verhält. Und zwar vorher. Das kam bei der medialen Berichterstattung eindeutig zu kurz. - Doch das schmälert nicht im geringsten die Leistung der Crew um Jens Kroker, die - Behinderung hin oder her - Höchstleistungen vollbracht haben und an die Grenzen des persönlich Leistbaren gegangen sind - Glückwunsch und Hochachtung!, meint Ihr Matt. Müncheberg, info@muencheberg-media.com.
(Paralympisches Segeln im Internet: www.paralympic-sailing-berlin.net).