Lage schieben auf der Germania VI: Mitsegeln erwünscht, wie etwa bei der Robbe und Berking Classics vor Flensburg. Foto: (c) nass-press.
Was sich eigentlich genau hinter dem Begriff Seemannschaft verberge, wollen wir vom erfahrenen Hochseesegel-Urgestein Hein wissen. Das sei ganz einfach, so der alte Salzbuckel, das sei das mit theoretischer Ausbildung und praktischer Erfahrung gesammelte Berufswissen eines Seemannes. Für uns Sportsegler bedeute das neben dem seglerischen Wissen und Können vor allem das Sammeln von Erfahrung, die es erst ermöglicht, mit jeder Lage auf See fertig zu werden. Und die könne man am besten an Bord von Deutschlands wohl bekanntester Ausbildungsyacht, einer 22 Meter-Bermuda-Yawl sammeln, sagt Hein, auch wenn mit Seemannschaft im Sinne der offiziellen Lernziele der Bordausbildung hier jedoch vor allem die Fähigkeit bezeichnet werde, eine Hochseeyacht auf der theoretischen Grundlage des jeweiligen Standes der Technik sicher führen, handhaben und instandsetzen zu können. Zur Verwirklichung guter Seemannschaft in der Bordpraxis seien dafür auf der Germania VI der Gebrauch einer klaren Kommandosprache und die Verwendung eindeutiger seemännischer Begriffe notwendig.
Bereits vor 100 Jahren, anno 1908, beginnt die Geschichte der Germania-Yachten mit der Germania I, einer luxuriös eingerichteten Schoneryacht, die an ihren über 40 Meter hohen Masten mehrere tausend Quadratmeter Segel führt. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach lässt sie nach Entwürfen von Max Oertz auf der kruppeigenen Germania-Werft in Kiel bauen. Mit der 1934 fertiggestellten Germania II beginnt eine streng sportliche Ära. Und die Zusammenarbeit mit Abeking & Rasmussen in Lemwerder. Mit der 1936 auf Kiel gelegten Germania III gewinnt Skipper Hans Howaldt im selben Jahr olympisches Bronze. Mit an Bord: Gustav Krupps Sohn Alfried. Kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges wird die Germania IV fertiggestellt. Hochsee-Segeln war erst ab 1955 wieder möglich: Mit der Germania V erringt Alfried Krupp beim Bermuda- und Transatlantikrennen von 1960 die Pope Christie Trophy und den Sonderpreis First Foreign Yacht to Finish. 1962, also vor 46 Jahren, wird schließlich die Germania VI in Auftrag gegeben.
1963 wird sie nach Plänen von Sparkman & Stevens bei A & R gebaut. Das als Mannschaftsschiff für weltweite Fahrt konzipierte 43 Bruttoregistertonnen-Schiff gilt als die erste ganzgeschweißte Aluminiumyacht der Welt, ein Wagnis zu Beginn der siebziger Jahre. Doch der Erfolg brachte der renommierten Werft schließlich weltweite Anerkennung. Im Baunummern-Buch von A & R, abgedruckt in ?Abeking & Rasmussen? von Klaus Auf dem Garten, findet sich auf Seite 137 unter der Baunummer 5895 der Eintrag: 16 KR Kielyacht, Germania VI, Besitzer Krupp von Bohlen und Hallbach, Essen. In ?Germania ? Die Yachten des Hauses Krupp? von Alexander Rost und Svante Domizlaff wird das Übergabeprotokoll der Yacht zwischen Werft und Eigner gezeigt. Es wurde am 15. Juli 1963 in Höhe Roter Sand Leuchtturm auf der Außenweser unterzeichnet. ?Es wurden keine wesentlichen Beanstandungen festgestellt?, heißt es darin.
Eigner der traditionell hellgrün lackierten Bermuda-Yawl ist heute die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Stiftungszweck: Jungen Seglern soll Gelegenheit zur Ausbildung im Hochsee- und Regattasegeln gegeben werden. Jährlich 200 Amateursegler nutzen seitdem die Möglichkeit, sich auf der Germania VI Seebeine wachsen zu lassen. Voraussetzung: Sportbootführerschein Binnen. Die An- und Abfahrt zum Liegeplatz muss jeder Segler selbst organisieren, dazu kommt eine Pauschale von zurzeit 10 Euro pro Tag. Den Rest übernimmt die Stiftung. Bis zu 15.000 Seemeilen werden so mit wechselnden Crews jedes Jahr zurückgelegt. Die Germania VI sei ?ein Schiff, das nicht Ehrgeiz befriedigt, sondern Charakter schult und dem Segelsport auf See kundigen Nachwuchs sichert?, so Bevollmächtigter Berthold Beitz im Buch ?Abeking und Rasmussen? von Svante Domizlaff.
Auf der Germania VI steht, sooft es eben geht, Wilfried Wruck am Steuerrad. Der Lübecker segelt seit 1965 ununterbrochen auf der Germania VI, gehörte zusammen mit Alfried Krupp zur Crew unter Skipper Howaldt. Über 3000 Nachwuchssegler sind so seit 1972 auf der Germania VI ausgebildet worden. Ohne Allüren, mit viel Engagement und - viel Understatement, auch das gehört zu guter Seemannschaft dazu. Dabei wird durchaus auch Wert auf sportliches Segeln und vordere Plätze bei Regatten gelegt. Der auf den Bord-Bekleidungsstücken eingestickte Schriftzug ist dabei für die Wettfahrtgegner Programm: Cave grypem. Hüte dich vor dem Greif, rät Ihr Matt. Müncheberg, info@muencheberg-media.com.
Informationen zur Germania VI bei Dr. Wolfgang Paul. Der Hamburger Rechtsanwalt führt die Mitsegler-Kartei des Schiffes und nimmt Bewerbungen junger Segler entgegen. Vorkenntnisse sind ausdrücklich erwünscht. Das Buch ?Germania ? Die Yachten des Hauses Krupp? von Alexander Rost und Svante Domizlaff (Delius Klasing, Bielefeld) widmet der letzten Yacht Alfried Krupps ein eigenes Kapitel).