Der Leuchtturm - Sein oder Nichtsein ...?
Brauchen wir heute noch Leuchttürme?
„Ein Leuchtturm ist ein turmartiger Bau als Träger eines Leuchtfeuers zur Küstenbeleuchtung für die Sicherheit der Schiffahrt, das nachts dem Schiffer als Merkmal und Wegweiser dient.“ Mit dieser erleuchtenden Erklärung versuchte Meyers Konversationslexikon vor exakt 100 Jahren alle Unwissenden über die geheimnisvoll blinkenden Türme an den Küsten zu informieren. Inzwischen hat unser technisch nüchternes Zeitalter das Geheimnisvolle aller Leuchttürme schonungslos offen gelegt. Und nicht nur das, jene Entwicklung, die wir technischen Fortschritt nennen, scheint die Leuchttürme zu überholen. Ob Radar oder Satelliten, moderne Elektronik und Computer haben längst Schifffahrt und Navigation erobert, so muss auch die Frage erlaubt sein: Brauchen wir heute noch Leuchttürme?
Man muss nicht zwangsweise ein begeisterter Fan von Seefahrt und Küsten sein, um der Faszination der Leuchttürme zu erliegen. Jene Symbolik der Wind und Wellen trotzenden Zuverlässigkeit, die mit ihrem Licht unablässig dem Seemann den richtigen Weg durch die Nacht weist, umgibt den Leuchtturm bis heute mit einem mystischen Schein. Doch die Zeichen stehen schlecht für die guten Geister der Seefahrt. Auch Leuchtturmwärter gibt es schon lange nicht mehr. Ferngesteuert von Zentralen und vollautomatisch versehen die Seezeichen unserer Tage ihren Dienst. Aber brauchen wir sie wirklich noch, wo jedes Radar Küstenlinien und Kollisionskurse rechtzeitig anzeigt und das kleinste GPS-Gerät unsere Position weltweit auf den Punkt bestimmt?
Fragen wir jemanden, der es wissen muss! Carsten Schmidt, ist seit Jahren auf den Weltmeeren zu Hause. Schiffe mit Längen bis zu 300 Metern lenkt er verantwortlich durch Meerengen und Kanäle, umschifft Klippen und läuft mühelos in Häfen mit engen Fahrwassern ein. Braucht er dazu noch die Leuchttürme? „Elektronische Seekarten und GPS gehören heute zur modernen Navigation. Doch Leuchttürme sind nach wie vor zwingend notwendig“, stellt der Kapitän auf großer Fahrt unmissverständlich fest. „Besonders in engen Fahrwassern sind Landfeuer stets zusätzliche Orientierungshilfen. Für Peilungen zu Kompasskontrollen und Sicherung von Ankerpositionen sind Landmarken wie auch die Leuchttürme absolut wichtig.“ Sollte die Elektronik möglicherweise einmal verrückt spielen oder gar ganz den Geist aufgeben, dann fühlt sich auch Carsten Schmidt auf der beruhigend sicheren Seite, wenn er sich auf die alt bewährten Seezeichen verlassen kann.
Und doch nagen nicht nur der Zahn der Zeit und das Meerwasser an so manchem Leuchtturm. Wenn immer mehr Leuchttürme zeitweise zum Standesamt umgewidmet werden, um romantischen Paaren den richtigen Weg in den Hafen der Ehe zu weisen, dann mag man dieses vielleicht noch der verträumten Mehrdeutigkeit eines Leuchtturms zuschreiben. Die Vielzahl der begeisterten Leuchtturmfreunde, die sich in den unterschiedlichen Foren und Seiten des Internets tummeln, legen jedoch den Verdacht nahe, dass es sich hier um eine „schützenswerte Art“ handelt.
Auch Wolfgang Pistol, gelernter Kapitän auf großer Fahrt und leidenschaftlicher Freizeitskipper, kann sich ein Leben ohne Leuchttürme nicht vorstellen: „Nicht nur wegen meiner nostalgischen Liebe halte ich Leuchttürmen für unverzichtbar. Für die konventionelle Navigation sind Seekarten und Seezeichen wie auch die Leuchttürme als Landmarken beim Ausfall der Elektronik eine sichere Rückfallebene.“ Auch für das Freizeitvergnügen auf dem Wasser - ganz gleich ob unter Segel oder Motor - ist der Umgang mit Seekarte und Kompass ein unverzichtbares Muss. Gläubiges
Vertrauen auf die Elektronik und die alles doch so einfach machende Satellitennavigation kann sehr schnell zur Katastrophe führen. Was tun, wenn das
ach so handliche GPS-Gerät urplötzlich streikt oder gar versehentlich über Bord geht? Was tun, wenn man wegen des Alleskönners GPS dann nicht auf der Seekarte mitgeplottet hat und gar nicht weiß, wo man ist? Wie segensreich mag einem dann in der Abenddämmerung das regelmäßig wiederkehrende Licht eines Leuchtturmes erscheinen?
Mögen die leuchtenden Wegweiser der Seefahrer uns noch lange erhalten bleiben. Ganz gleich, ob sie dicken Pötten oder schnittigen Yachten den richtigen Kurs angeben, ganz, gleich ob sie mit immer pfiffigerer Elektronik konkurrieren müssen, eines gilt bis heute: Leuchttürme gehören an die Küste wie das Wasser ins Meer.