Das ist er, Tangaroa, der Fruchtbarkeitsgott auf den Cook Islands. Er ziert das Groß des nach ihm benannten Segel-Vakas - und die 1 Dollar-Münze.
Thomas Koteka hat es gut. Der Hotelmanager lebt nicht nur auf Rarotonga inmitten des südpazifischen immerwährenden Sommers - er ist auch noch Segler. Der stämmige Mann mit dem Hawaii-Hemd und dem Kinnbart kann, wann er will, aufs Wasser der türkis schimmernden Lagune vor seiner Haustür. Das hat was. In Deutschland ist das etwas anders: Wenn überhaupt, dann bleiben hiesigen Seglern die Sommermonate zur Pflege ihres Hobbies, sei es, um gemächlich dahinzucruisen oder um sportlich um die Tonnen zu eilen. Doch selbst dann ist das Wasser nicht türkisfarben...
Ich treffe Koteka in seinem Segelclub, das kein Vereinsheim im europäischen Sinne ist, sondern vielmehr eine einladende Strandbar mit Terrassen-Blick auf die Lagune. Trotzdem scheint die Mitgliedschaft so gar nicht exklusiv zu sein: 125 Neuseeland- oder Cookdollar (80 Euro) muss man dafür lediglich berappen – im Jahr. Und: garantiert einzigartig dürfte wohl auch die Bootsklasse sein, die Koteka entworfen - und gebaut hat.
„Das erste 18 Fuß (5,49 Meter)-Tangaroa Sailing Vaka wurde 1999 vorgestellt“, sagt Thomas Koteka. Der begeisterte Wassersportler Koteka suchte ein Boot, das seiner Körperfülle gerecht wird – und wollte partout keines finden, das groß genug für den Mann war. „Das größte verfügbare Boot auf Rarotonga war ein 12 Fuß (3,66 Meter) langes Sunburst Sailing-Dinghi, das war einfach zu klein für mich“, erinnert sich der Mann mit den maorischen Wurzeln.
Und so schlug er seinen Clubkameraden vor, zum 50jährigen Jubiläum ihres Wassersport-Vereines 1990 ein neues, größeres Segelboot zu entwerfen. Gesagt, getan: Koteka orientierte sich an den historischen Segel-Vakas, die ab der Gründung des Clubs im Jahr 1940 auf der Lagune vor dem Muri Beach im Südosten der Südsee-Insel sportlich gesegelt wurden – „bis in die frühen Sechzigerjahre hinein“, erinnert sich Koteka, da sei die Sunburst-Jolle eingeführt worden, und die Vakas hätten an Popularität verloren.
Beinahe wären sie völlig in Vergessenheit geraten – wäre da nicht der anpackende Koteka gewesen. „Elf Boote habe ich seit 1999 auf meinem Grundstück hinterm Haus nach den historischen Rissen auf Kiel gelegt“, drei Monate nehme der Bau eines Bootes in Anspruch, und acht davon seien nun in seinem Segelclub auf Rarotonga stationiert – und liefern sich jeden Sonnabend harte, aber freundschaftlich-faire Duelle in der glasklaren Lagune zwischen den vier vorgelagerten Palmen-Inselchen, die hier Motus heißen.
Koteka ist auch dabei, natürlich. Auch heute wieder: ideale Segelbedingungen, natürlich. Ein leichter Passat weht, das Wasser ist badewannenwarm, die Sonne knallt. Zwar gibt es an diesem Sonnabendnachmittag in der Muri-Lagune nur drei Mitkonkurrenten auf den Sieger-Podest. Und gesegelt wird sowieso „nur“ um die Ehre. Aber das ist Koteka und seinen Segelfreunden ganz egal, der Spaß steht im Vordergrund, Crew-Hände werden immer gesucht.
Und so komme ich selbst ganz unerwartet in den Genuss einer Teilnahme an einer der Wettfahrten. Der erste Eindruck: Eng ist es an Bord. Glücklicherweise gibt es eine Art Lattengerüst, auf das man sich setzen und sich an der äußeren Rumpfkante abstützen kann. Der Vorschoter hat für die Bedienung der Fock und für den Trimm zu sorgen, der Steuermann bedient das Ruder und führt die Großschot, und der Mittschiffsmann – in diesem Falle ich – hat lediglich für den optimalen Trimm zu sorgen.
Gut, dass ich auf Jollen groß geworden bin, so kann ich mich bei mehr Wind schnell außenbords hangeln und bei Windlöchern oder einer abnehmenden Brise wieselflink Richtung Bootsmitte rutschen. Dabei knalle ich mit meinem Knöchel an die Kante des Schwertkastens – das ist blöd, macht aber nichts, denn der zweite Platz in dieser zweiten Wettfahrt versöhnt schnell mit dem Schmerz. Ich bin erstaunt, wie rasant das kleine Tangaroa-Vaka mit seiner 165 Quadratfuß (15,33 Quadratmeter, vergleichbar etwa mit einem 15 Quadratmeter-Jollenkreuzer) messenden Segelfläche schon bei wenig Wind losrauscht.
Da ist höchste Konzentration bei den Manövern gefragt – besonders dann, wenn wie heute Niedrigwasser herrscht, und plötzlich vor dem Bug auftauchende Korallenstöcke umfahren werden müssen, um keine Ramming und damit ein Loch im Bug zu riskieren. Der Schiedsrichter „Käpt`n Kirk“ bestätigt nach den Rennen meine Beobachtungen: „Es ist nicht leicht, mit dem Vaka sofort nach Einstieg in diese Bootsklasse ganz vorne mitzusegeln“, sagt der ehemalige Tornado-Segler und stolze Tangaroa-Eigner, der schon für das britische Segelteam in internationalen Rennen auf Kats erfolgreich am Start war.
Der an Backbord angebrachte Ausleger mache das Boot speziell, insbesondere bei Manövern und bei Wind von der Steuerbord-Seite, sagt Francis, dessen Gesicht mittlerweile eine dunkelrote Färbung angenommen hat. Egal, zum Schluss sitzen alle auf der Terrasse des Segelclubs, nehmen gemeinsam einen Sundowner, lachend, sich zuprostend und sich umarmend, tauschen ihre Regatta-Erlebnisse aus und schauen dem Sonnenuntergang zu. Ob sie wohl wissen, wie bevorzugt sie von dem Seglergott – wenn es denn einen gibt – sind?
Auf Rarotonga scheint es ihn tatsächlich zu geben: Im Großsegel huldigen sie ihm, indem sie ihn voller Stolz als strengen, kleinen, dickbäuchigen Mann abbilden und bei den Regatten damit jedes Mal für Aufsehen sorgen. Denn auch das ist speziell an diesem entlegenen Ort – und dürfte weltweit wohl seines Gleichen suchen: Das Tangaroa genannte, schwarze Männchen präsentiert auf dem Segel völlig ungeniert sein Genital. Er, der auch die Vorderseite der unter Sammlern gesuchten Cookdollar-Münze ziert, steht auf der Inselgruppe für die Fruchtbarkeit, er darf das also. So ist das eben auf Rarotonga, dem kleinen, feinen und eigentlich gar nicht exklusiven Segelparadies unter der ewigen Sonne, mitten im Südpazifik.
Und auf dem Nachhauseweg geraten wir dann ins Grübeln: Was wäre eigentlich, wenn... - ja wenn wir auf einer Insel lebten, auf der jeden Tag Sommer wäre, ein leichter Passat bliese und das Wasser, richtig, badewannenwarm wäre? Wo bliebe er, der Reiz des Besonderen? So gesehen hat regnerisch-kühles Schietwetter sogar seine Guten Seiten. Aber nur, wenn dann irgendwann auch einmal der Sommer kommt. Und ich meine einen richtigen Sommer, so mit allem drum und dran, wie, ja, genau so wie auf Rarotonga bei Thomas Kotela...